Pflanzen

Auf den von der Eiszeit hinterlassenen Geröllflächen breitete sich in vielen Jahrhunderten allmählich eine arktische Vegetation aus, die dem heutigen Nordfinnland geähnelt haben mag. Erst in der Vorwarmzeit (8200-6800 v. Chr.), nachdem die Temperaturen weiter gestiegen waren, entstand eine geschlossene Pflanzendecke. Interessant ist, dass sich durch Pollenuntersuchungen im Arrisried diese Entwicklung der Vegetation nachvoll-ziehen lässt. Die Analysen sind für den Fachmann wie ein aufgeschlagenes Buch der Vegetationsgeschichte, ja, sie belegen sogar die ersten Versuche der Siedler um 1500 v. Chr., unsere Gegend urbar zu machen und Getreide anzubauen – also erst rund 10.000 Jahre, nachdem das Eis zurückgewichen war. Seit dieser Zeit wurde demnach der Urwald mehr und mehr zurückgedrängt; an seine Stelle traten nach und nach die Nutzpflanzen. In den Wäldern aber – besonders im Argental, in den Nieder- und Hochmooren und in den höher gelegenen Bergregionen – konnten noch viele Pflanzen aus der Nacheiszeit überleben. Eine besondere Pflanze hat sich im Argental erhalten: der Winterschachtelhalm. Er wirkt wie ein Mini-Relikt der riesigen Schachtelhalme der Saurierzeit.

Winterschachtelhalm

Erst durch die Rodungen der Keltenzeit und des Mittelalters konnten die Wiesen und Weiden entstehen, wobei je nach Standort unterschiedliche Gräser und Kräuter dominierten. Auf trockenen Weiden wuchsen Silberdistel und Salbei, auf den frischen Wiesen Margerite und Schlüsselblume und auf den Feuchtwiesen Orchideen und Sauergräser. Die landwirtschaftliche Fläche war allerdings zu 2/3 dem Ackerbau gewidmet. Dieses bunte Mosaik wusste der Mensch vielfältig zu nutzen: Die Äcker zu Nahrung und die Wiesen als Feucht- und Streuwiesen, als Weiden und als kostenlose Apotheke.

Dieser Zustand des harmonischen Verhältnisses zwischen Mensch und Natur hielt an, solange es keine Intensivwirtschaft gab. Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Hoch- und Niedermoore und das Argental Refugien der nacheiszeitlichen Vegetation, die das württembergische Allgäu zu einem einmaligen Pflanzenparadies innerhalb Württembergs machten. Pauly schreibt in der Oberamtsbeschreibung von 1841: „Obgleich die Vegetationsverhältnisse des Oberamts Wangen noch keineswegs zur Genüge erforscht sind, so lässt sich doch nicht bestreiten, dass dieser Bezirk an Pflanzen, die im Allgemeinen in Württemberg nicht häufig vorkommen, ungewöhnlich reich ist und seine Flora überhaupt einen eigentümlicheren Charakter an sich trägt, als die der großen Mehrzahl der übrigen Bezirke des Landes. Unverkennbar ist das Gepräge des rauhen Landstrichs, unter dem sie sich entfaltet“ (S. 34).

Glücklicherweise bietet uns die genannte Oberamtsbeschreibung eine ungefähre Vorstellung dieser teilweise nacheiszeitlichen Vegetation, die bei uns damals noch häufiger gewesen sein muss als heute.

Pauly nennt folgende Pflanzen, die innerhalb von Württemberg ausschließlich im Oberamt Wangen vorkamen:

a. In höheren Regionen (über 2000 Fuß = ca. 660 m)

Alpenfettkraut (pinguicula alpina)
Alpengreiskraut (Senecio alpinus)
Alpenhuflattich (Tussilago alpina)
Bärtige Glockenblume (Campanula barbata)
Bergbaldrian (Valeriana montana)
Braunsegge (Carex fulva; = nigra?)
Drachenwurz (Calla palustris)
Feldenzian (Gentiana campestris)
Grasschwertlilie (Iris graminea)

Drachenwurz
(Quelle: Mein schöner Garten)

Kahler Alpendost (Adenostyles alpina bzw. glabra)
Knotenfuß (Streptopus amplexifolius)
Nesselblättriger Ehrenpreis (Veronica urticaefolia)
Norwegisches Fingerkraut (Potentilla norvegica)
Rundblättriger Steinbrech (Saxifraga rotundifolia)
Sandkresse (Arenaria uliginosa)
Stengellose Primel (Primula acaulis)
Zweiblättriges Veilchen (Viola biflora)
.

bärtige Glockenblume
(Quelle: Wikipedia)

b. sonstige Standorte:

Alpenrose (Rosa alpina)
Alpenschnittlauch (Allium sibiricum bzw. alpinum)
Alpenwollgras (Eriophorum alpinum)
Alpenziest (Stachys alpina)
Bilsenkraut
Blauer Eisenhut (Aconitum neomontanum = Stoerkeanum = napellus)
Bocksriemenzunge (Himantoglossum viride = hircinum)
Brauner Storchschnabel (Geranium phaeum)
Deutsche Tamariske (Tamarix germanica)
Echtes Fettkraut (Pinguicula vulgaris)
Eisenhut (Aconitum cammarum)
Hahnenfußblättriger Eisenhut
Felsenspergel (Alpenmastkraut) (Spergula saginoides)
Fieberklee (Menyanthes trifoliata)
Freisamkraut
Geißblatt
Grauer Alpendost (Adenostyles albifrons bzw. Alliaria)
Grüne Nieswurz (Helleborus viridis)
Grünliche Waldhyazinthe (Platanthera chlorantha)
Heckenkirsche (Lonicera nigra)
Isländisches Moos u.a.
Kalmus (Acorus calamus)

Knotiger Spergel (knotiges Mastkraut) (Spergula nodosa)
Langblättriger und rundblättriger Sonnentau (Drosera)
Löffelkraut
Moorsteinbrech (Saxifraga hirculus)
Moschusmalve (Malva moschata)
Rostfarbene Alpenrose (Rhododendron ferrugineum)
Sauerklee
Schlammsegge (Carex limosa)
Schwalbenwurzenzian (Gentiana asclepiadea)
Schwertblättriges Waldvögelein (Cephalanthera ensipholia = longifolia)
Seerose (gelb und weiß)
Sumpfblasenbinse (Schleuchzeria palustris)
Sumpfhaarstrang (Thysselinum palustre)
Sumpfrosmarin (Andromeda polifolia)
Tollkirsche
Wanzenknabenkraut (Orchis coriophora)
Wasserfenchel
Weißer Huflattich (Tussilago alba)
Wollblume
Wolliger Hahnenfuß (Ranunculus lanuginosus)
Zungenhahnenfuß (Ranunculus lingua)
Sträucher: Stechpalme, Tamariske

Das „Königreich Württemberg“ von 1863 führt noch als Besonderheiten an:
Sauerklee, einblumiges Wintergrün, Dreifaltigkeitsblume, rundblättriges Labkraut.

Als Besonderheiten im Argental: Jacobsgreiskraut, Herz-, voralpen-, leierförmiges Greiskraut (Senecio cordatus, subalpinus, lyratifolius), klebriger Salbei (Salvia glutinosa), rosmarinblättriges Weidenröschen (Epilobium Dodonaei), Schwalbenwurzenzian (Gent. asclep.).

Leider sind wir über den Zeitpunkt des Aussterbens von Pflanzen in früherer Zeit kaum oder gar nicht unterrichtet; allein im Falle der Alpenrose ist bekannt, dass 1921 bei Engerazhofen und 1922 in Winnis die letzten Exemplare in unserer Gegend gesehen wurden.

1930 zählt K. Bertsch (1878–1965) eine Reihe von seltenen Pflanzen des Westallgäus auf, u. a.

Adlerblume
Alpengänsestern
Alpenkreuzkraut
Alpenziest
behaarter Kälberkopf
Bergklee
blauer, bunter und gelber Eisenhut
Blutauge
breitblättriges und fleischfarbiges Knabenkraut
eisenhutblättriger Hahnenfuß
Elfenbein- und Winterschachtelhalm u.a.
Fettkraut
Fieberklee
Frauenschuh
geflecktes Lungenkraut
Geißbart
Germer

Germer
(Quelle: Wikipedia)

Helmkraut
Krähenfuß
Kugel-Rapunzel
Läuse- und Helmkraut
Liliensimse
maskierte Distel
Mehlschlüsselblume
Schwalbenwurzenzian
Sterndolde
Sumpfeinblatt
Sumpfhaarstrang
Sumpfveilchen
Sumpfwur
Wiesenraute
Wollgras
Wunderveilchen
zweiblättriges Veilchen

Alpenrose
(Quelle: pxhere.com)

Baur fand um 1950 noch das Spatelblättrige Aschenkraut (S.5), am Neuweiher bei Siggen die rotbraune Schnabelbinse und die Simsenlilie (S. 7). Sumpflanzkraut (S.8, s. auch Liste S. 9),. Eine besondere Queckenart wurde von Baur noch 1968 am Ostrand des Klingerweihers beobachtet. (S. 4)

Die Pflanzenvielfalt nahm in dem Maße ab, wie die Flachmoore entwässert und die Wiesen intensiver bewirtschaftet wurden und die Monokultur in Wald und Feld Einzug hielt. Wie auch in anderen Bereichen beschleunigte sich das Verschwinden der Pflanzen seit den 50er Jahren in beängstigender Weise. Innerhalb von 30 Jahren sind sehr viele Pflanzen- und Tierarten zurückgegangen und großflächig verschwunden. Die noch verbliebenen Hoch- und Niedermoore und die nach Norden ausgerichteten Tobelwälder der Argen und sind in unserer Gegend die letzten Rückzugsgebiete seltener Pflanzen und Tiere. An den Nordhängen der Unteren Argen, die sehr steil und unzugänglich sind und urwaldartigen Charakter haben, gibt es auch heute noch urwüchsige Tobelwald-Raritäten wie der Gelappte Schildfarn, Lanzen-Schildfarn, Waldgeißbart, Nesselblättriger Ehrenpreis ((Baur, 3).

Trotzdem sind viele der hier vorkommenden Arten auch bei uns schon kurz vor dem Aussterben und unter Naturschutz gestellt. In Ratzenried sind von 203 erfassten Pflanzenarten 25 Arten mittel und 4 Arten stark gefährdet – das sind mehr als 10 Prozent –, und im Arrisried sind rund 20 Prozent der Blütenpflanzen stark oder mittel gefährdet.

Besonders schlimm sieht es auf den Wiesen aus, wegen der Intensivwirtschaft: Statt 94 Prozent zweimähdiger Wiesen im Jahr 1941 gab es um 1990 95 Prozent vier bis sechsmähdiger Wiesen im württembergischen Allgäu (in Ratzenried 99 Prozent). Durch die Intensivdüngung hat sich das Verhältnis der Gräser und Kräuter ab 1960 von 70:30 auf 85:15 verschoben. In ursprünglich zweimähdigen Wiesen lebten weit über 100 verschiedene Pflanzenarten, in vier- bis sechsfach gedüngten Wiesen leben dagegen kaum 20. Deshalb kann das „so schön grüne Allgäu“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Grün ein „armes“ Grün ist.

Auch die anscheinend so malerische Löwenzahnblüte des Allgäus ist in Wirklichkeit ein „leuchtender“ Beweis der Monokultur, der Intensivdüngung und der daraus resultierenden Verarmung der Vegetation. An die Stelle der einst als „Ödland“ bezeichneten Feuchtgebiete, Moore und Raine ist heute das „Ödland“ der intensiv gedüngten Wiesen getreten.

Salomonssiegel
Sumpfhelmkraut

Immerhin gibt es im Jahr 2024 im Bereich Ratzenried noch Raritäten (Zahl = Zahl der Standorte):

Aaronsstab (2)
Alpenmaßliebchen (1, Argen)
Baldrian (kleiner) (1, Bruggweiher)
Berghahnenfuß
Blutwurz (Aufrechtes Fingerkraut) (1)
Feldklee (1)
Frühlingsenzian (1)
Germer (2)
Händelwurz (Große) (1)
Knabenkraut (stattliches und geflecktes) (1)
Knabenkraut (fleischfarbenes) (1)
Knolliger Hahnenfuß
Kreuzblümchen (gemeines)  (1)
Lerchensporn (2)
Mehlprimel (2)

Salomonssiegel (mehrere)
Silberdistel (1)
Skabiosenflockenblume (2)
Sumpfsitter (1)
Sumpfhahnenfuß (1)
Sumpfhornklee (1)
Sumpfsitter (1)
Trollblume (2)
Türkenbund (2)
Waldgoldstern (1)
Waldhyazinthe (zweiblättrige) (1)
Winterschachtelhalm
Wollgras (2)
Zweiblättriger Waldgoldstern (1)

Eine ähnliche Verarmung lässt sich auch in den Gärten – nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land – beobachten: Da ist der englische Rasen die Norm, und jede darauf blühende Blume gilt als Beweis der mangelnden Rasenpflege. Die bunte Natur hat im Garten nichts zu suchen; stattdessen fährt man in botanische Gärten und in ferne Länder, um dort die Natur „in natura“ zu erleben. Die Mode des englischen Rasens äußert sich leider auch darin, dass bei Wettbewerben wie etwa „Unser Dorf soll schöner werden“  auf geschnittene Hecken und sauber gemähte Rasen Wert gelegt wird, kaum aber auf einen ländlich-naturnahen Garten geachtet wird. Inzwischen hilft ja auch der Mähroboter, dieses „Ideal“ zu erreichen. 

Auf meiner Wiese ums Haus (kein englischer Rasen!) blühen:

Aaronstab
Akelei
Anemone
Atlantische Waldhyazinthe (Hasenglöckchen)
Augentrost
Baldrian
Bärlauch
Blutweiderich
Brennessel
Dost
Ehrenpreis
Engelwurz
Frauenmantel
Gemeines Moschuskraut (1)
Gilbweiderich
Goldtaubnessel
Grassternmiere,
Gundelrebe
Habischtkraut
Hahnenfuß
Heidegünsel
Herbstlöwenzahn
Hexenkraut
Hornklee
Hühnerdarm
Immergrün
Jakobskreuzkraut
Johanniskraut
Klappertopf
Kleiner Wiesenknopf
Klettenlabkraut

Knoblauchrauke
Krokus
Kuckucksblume (rote Nachtnelke)
Kuckuckslichtnelke
Lerchensporn
Löwenzahn
Mädesüß
Maiglöckchen
Malve
Margerite
Moschuskraut (gemeines)
Pfefferminze
Primel
Rotklee
Salomonssiegel
Sauerampfer
Scharbockskraut
Schlüsselblume
Schneeglöckchen
Spitzwegerich
Storchschnabel
Taubnessel
Veilchen
Vergissmeinnicht
Vogelwicke
Waldmeister
Weidenröschen (kleines und Großes)
Wiesenknöterich
Wiesenpippau
Wiesensalbei
Wiesenschaumkraut

Außerdem gibt es dort viele Gräser.

Am Teich:

Bach-Nelkenwurz (Blutströpfle)
Fieberklee
Froschbiss
Froschlöffel
Schwertlilie

Fieberklee

Seerose
Sumpfdotterblume
Sumpfhelmkraut
Wasserhahnenfuß
Weidenröschen (klein und groß)

Froschbiss

Viele Bauerngärten sind verschwunden, in denen die alte Harmonie zwischen Mensch und Natur sichtbar war. Mit dem Verschwinden der Heilkräuter aus dem Bauerngarten zeigt sich auch der Verlust an Naturkenntnis.

Die Natur in den Gärten und Wiesen ist also vor allem seit der Mitte des 20. Jhs. auf dem Rückzug. Das Buch von Dieter Wieland trägt den bezeichnenden Titel „Grün kaputt“.

Immerhin gibt es mancherorts wieder das Bewusstsein, wenigstens durch Blühstreifen und besonders gesäte Blumenwiesen dem Auge und der Biene wieder Nahrung zu bieten. Auch manche Gartenbesitzer lassen wieder eine „normale“, natürliche Blumenwiese um ihr Haus zu und „dulden“ und besinnen sich darauf, dass Pflanzen nicht nur eine wichtige Lebensquelle für die Insekten, sondern auch für die Menschen. Das neu entdeckte Interesse an den Heilkräutern deutet darauf hin.

(Atlantiscche) Waldyazinthe 
Sumpfsitter